Die Medizinerin Andrea Ablasser untersucht, wie sich Zellen gegen Angriffe von Viren und Bakterien zur Wehr setzen. Für ihre herausragende Forschungsarbeit zur angeborenen Immunität wird die EPFL-Professorin mit dem Nationalen Latsis-Preis 2018 ausgezeichnet.
Im Gegensatz zur gezielten, aber langsamen Produktion von Antikörpern gegen bestimmte Krankheitserreger bei der erworbenen Immunität, reagiert die angeborene Immunität sofort. Hierbei spürt die Zelle mit Hilfe spezieller Sensoren, ob sich DNA oder RNA am falschen Ort befindet. Da dies ein Hinweis auf eine Vireninfektion ist, löst der Sensor daraufhin eine generelle antivirale Abwehrreaktion aus. Die Medizinerin Andrea Ablasser erforscht, wie diese angeborene Immunantwort gesteuert wird, und ist dabei zuletzt auf einen vielversprechenden therapeutischen Ansatz gestossen. Für ihre bahnbrechende Forschung verleiht ihr der Schweizerische Nationalfonds im Auftrag der Latsis-Stiftung den Nationalen Latsis-Preis 2018.
Im Fokus von Ablassers Forschung steht der sogenannte cGAS/STING-Signalweg, der erst vor zehn Jahren entdeckt wurde. Dieser Signalweg, der durch die Anwesenheit von DNA ausserhalb des Zellkerns angestossen wird, kurbelt vor allem die Produktion von Entzündungssignalen an, die wiederum verschiedene Immunzellen zur Bekämpfung von Viren aktiviert. Der Signalweg ist ebenfalls Bestandteil einer natürlichen Abwehr von Tumorzellen. Ablasser, die schon im Studium und als Doktorandin auf diesem Gebiet forschte, ist es als Postdoktorandin an der Universität Bonn gelungen, einen wichtigen Botenstoff dieser Signalkette zu charakterisieren. "In dieser Zeit fiel die Entscheidung, trotz meines Medizinstudiums nicht in die klinische Praxis zu gehen, sondern mich ganz der Grundlagenforschung zu widmen", sagt Ablasser.
Autoimmunkrankheiten verstehen
Seit ihrem Ruf an die EPFL untersucht Ablasser vor allem, was passiert, wenn der cGAS/STING-Signalweg fälschlicherweise aktiviert wird und so zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. Dies geschieht immer dann, wenn körpereigene DNA durch Stress, Zellalterung oder Krankheit aus dem Zellkern entweicht und der DNA-Sensor irrtümlich darauf anspringt. "Das Forschungsfeld hat sich auch deshalb so schnell entwickelt, weil es klinisch sehr wichtig ist", so Ablasser. Sie erforscht mit ihren Experimenten, wie eine solche Fehlleistung des cGAS/STING-Signalwegs eine Vielzahl von Erkrankungen wie chronische Entzündungen, Autoimmunkrankheiten und neurodegenerative Krankheiten auslösen kann.
Ihre Ideen für neue Versuchsansätze ergeben sich dabei häufig aus zufälligen Beobachtungen: "Wenn bei einem Experiment etwas nicht so funktioniert, wie man es sich vorgestellt hat, lohnt es sich meistens, nochmal genauer hinzuschauen. Dafür braucht es natürlich auch gute Mitarbeitende, die immer mitdenken."
Start-up entwickelt neuen Wirkstoff
Die Erkenntnis, dass der cGAS-Signalweg bei Überaktivierung chronische Entzündungen und andere Krankheiten hervorrufen kann, veranlasste Ablasser, mit einem Screening nach einem Stoff zu suchen, der diesen Prozess hemmt. "Solche Screenings gelten als riskant, denn sie sind sehr aufwendig und es gibt keine Garantie dafür, dass etwas dabei herauskommt." Doch in diesem Fall hatte sie Glück: Das Screening filterte aus 60 000 Molekülen einen kleinen Wirkstoff heraus, der ganz spezifisch eine Komponente des cGAS/STING-Signalwegs blockiert. Das Potential dieses Hemmstoffs für die Therapie soll nun in verschiedenen Krankheitsmodellen getestet werden, wofür Ablasser kürzlich ein Start-up Unternehmen mitgegründet hat.
Sie selbst möchte sich nun wieder vermehrt der Grundlagenforschung zuwenden. Im Moment interessiert sie hierbei besonders der Zusammenhang zwischen Zellalterung und angeborener Immunität: "Mein Ziel ist es, dadurch altersbedingte Krankheiten wie Lungenfibrose oder den Verlust von blutbildenden Stammzellen besser zu verstehen." Denn – wie ihre bisherige Laufbahn zeigt – das grundlegende Verständnis von zellulären Vorgängen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer neuen Therapie.
Kurzbiografie
Andrea Ablasser wurde 1983 in Bad Friedrichshall geboren. Ihr Studium der Humanmedizin schloss sie 2008 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ab, wo sie 2010 auch ihre Promotion in Klinischer Pharmakologie erlangte. Danach setzte sie ihre Forschung auf dem Gebiet der angeborenen Immunität am Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie der Universität Bonn fort. Im Jahr 2014 wurde sie zur Tenure Track Assistant Professorin an die EPFL berufen. Die Wissenschaftlerin wurde für ihre Forschung schon mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet – zuletzt erhielt sie den Eppendorf Award for Young European Investigators 2018.
Ablasser empfindet ihre Arbeit nicht als Arbeit. Sie sagt, für sie sei es ein Privileg an einem Ort wie Lausanne forschen zu dürfen. Dort in der Nähe, in einem kleinen Dorf, lebt sie mit ihrem Verlobten, dem Physikprofessor und Latsis-Preisträger 2014 Tobias Kippenberg. In ihrer Freizeit entspannt sie sich beim Laufen oder fährt mit ihrem Rennvelo in die Berge.
Nationaler Latsis-Preis
Der Nationale Latsis-Preis wird seit 1983 jährlich durch den SNF im Auftrag der Internationalen Latsis-Stiftung verliehen, einer 1975 gegründeten gemeinnützigen Non-Profit-Organisation mit Sitz in Genf. Der Preis wird an in der Schweiz tätige, unter 40-jährigen Forschende vergeben. Der mit einem Preisgeld von 100 000 Franken dotierte Nationale Latsis-Preis ist eine der schweizweit renommiertesten Auszeichnungen im wissenschaftlichen Bereich. Ausserdem werden vier mit je 25 000 CHF dotierte Latsis-Universitätspreise von den Universitäten Genf und St. Gallen sowie den Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich (ETH) und Lausanne (EPFL) verliehen.
Quelle: Pressemitteilung Schweizerischer Nationalfonds SNF 11/2018