English version below
Mit diesem Artikel wollen wir die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) über Bestrebungen mit starkem Verdacht einer zugrundeliegenden lobbyistischen Absicht unterrichten, deren Ziel es ist, Antikörper, die im Tier generiert wurden oder zukünftig generiert werden sollen, aus der Wissenschaft und aus der Klinik zu verbannen und zu verbieten. Die DGfI beteiligt sich am Widerstand der internationalen wissenschaftlichen Community gegen diese wissenschaftsfeindlichen Bestrebungen.
Am 15. Mai 2020 wurde eine Stellungnahme des EU-Referenzlabors für Alternativen zu Tierversuchen (EU Reference Laboratory for Alternatives to Animal Testing), kurz EURL ECVAM abgegeben, die suggeriert, Antikörper, die aus Tieren gewonnen wurden, seien wissenschaftlich überholt und ethisch verwerflich (https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-research-reports/eurl-ecvam-recommendation-non-animal-derived-antibodies). In diesem Statement wird u.a. behauptet, dass aus Tieren gewonnene Antikörper massive Qualitätsprobleme hätten, insbesondere, dass sie unspezifisch seien. Darüber hinaus wird behauptet, dass im Tier gewonnene Antikörper unter Tierschutzaspekten unethisch und durch Alternativen, wie Antikörper aus recombinant libraries, zu ersetzen sind. Es wird vorgeschlagen, dass Journale im Regelfall Manuskripte zurückweisen sollen, deren Daten auf Antikörpern aus Tieren beruhen und Fördermittel im Allgemeinen nicht für wissenschaftliche Projekte gegeben werden sollten, die aus Tieren gewonnene Antikörper verwenden. Diese Behauptungen und Empfehlungen wurden als „Correspondence“ in „Nature Methods“ publiziert (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32719533/) und in „Nature“ (https://www.nature.com/articles/d41586-020-01474-7) von den gleichen Autoren wiederholt. Dabei fällt auf, dass die gleichen Autoren sowohl als beratende "Ad-hoc Members" die EU-Empfehlungen maßgeblich erarbeitet haben, als auch ihre eigenen Empfehlungen dann noch in einem "independent scientific peer review" bestätigt haben. Weiterhin fällt auf, dass diese Personen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Gründer, Aufsichtsratmitglieder oder Mitarbeiter von Firmen sind, die Antikörper aus recombinant libraries oder z.B. DARPINs (Designed Ankyrin Repeat Proteins) produzieren und verkaufen.
Dieser als Tierschutz getarnte industrielle Rabiat-Lobbyismus hat Chancen, Grundlage einer EU-Richtlinie zu werden. Dagegen regt sich in der wissenschaftlichen Community massiver Widerstand.
Selbstverständlich unterstützt die DGfI alle Bemühungen, die Zahl der Tiere in Tierversuchen zu reduzieren und Alternativen zu identifizieren. Die derzeitigen Empfehlungen des EURL ECVAM sind jedoch wissenschaftlich völlig unhaltbar und hätten im Falle ihrer Umsetzung in europäisches Recht dramatische Auswirkungen auf die biomedizinische Forschung in Europa.
Die DGfI ist im engen Austausch mit verschiedenen Fachgesellschaften auf deutscher und europäischer Ebene und arbeitet intensiv daran, ein politisches Statement zu veröffentlichen, um sowohl auf politischer Ebene als auch der Ebene von Drittmittelgebern die Gefahr dieser Lobby-Bestrebungen zu verdeutlichen.
Einige klare Stellungnahmen wissenschaftlicher Fachgesellschaften sind bereits veröffentlicht. Hier sind die entsprechenden Links:
1) Ein Nature Methods Paper der Confederation of Spanish Scientific Societies (COSCE) als Antwort auf Gray et al. (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33020658/)
2) Ein umfangreiches Statement des Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB), einer belgischen Wissenschaftsorganisation (https://vib.be/news/opinion-do-not-ban-animal-immunization-antibody-production) und ein Statement in “EMBO reports” (https://www.embopress.org/doi/full/10.15252/embr.202051761)
3) Ein Statement der European Federation of Immunological Societies (EFIS)
(https://www.efis.org/cms/upload/bilder/home/EFIS_EFIS-Vaccine-TF_EURL-ECVAM-Statement_20201022.pdf)
4) Ein Statement der League of European Research Universities (LERU) (https://www.leru.org/news/leru-voices-concerns-over-recommendations-to-ban-animal-derived-antibodies)
5) Ein Statement aus der Pharmaindustrie in „Nature“ (https://www.nature.com/articles/d41586-020-02923-z)
Mit dieser Lektüre sollte es möglich sein, sich ein Bild darüber zu machen, warum es so wichtig für die wissenschaftliche Community ist, hier Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Wir möchten alle DGfI Mitglieder nachdrücklich dazu auffordern, die hier bereitgestellten Materialien für eigene Öffentlichkeits- und Lobby-Arbeit zu nutzen. Wer sich an einer Gegendarstellung beteiligen will oder unsere Fachgesellschaft anderweitig unterstützen kann (z.B. Kontakte zu Politikern oder anderen Entscheidungsträgern), ist herzlichst aufgerufen, sich an die Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (mail@dgfi.org) zu wenden.
Ein interessanter Vortrag zum Thema findet am 30. November 2020 in einer Zoom-Conference mit Diskussionsmöglichkeit an der Charité Berlin statt. Zu dieser kann man sich unter folgendem Link anmelden: https://charite3r.charite.de/metas/veranstaltung/veranstaltung/details/charite_3r_lecture_recombinant_antibodies_improved_tools_for_science_and_diagnostics-2/
Zu weiteren Entwicklungen werden wir die Mitglieder der DGfI auf dem neuesten Stand halten.
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Als Appetizer zum Lesen der oben bereitgestellten Informationen, hier eine Zusammenfassung der einzelnen Gegenmaßnahmen:
Zu 1) In einer ersten Gegendarstellung zur Empfehlung des EU-Referenzlabors ECVAM zur Verbannung von im Tier-hergestellten Antikörpern äußern sich - ebenfalls im Fachjournal „Nature Methods“ - spanische Wissenschaftler der Confederation of Spanish Scientific Societies – COSCE zusammen mit der Europäischen Tierversuchsassoziation - EARA (European Animal Research Association). In diesem Beitrag wird sowohl die EU-Empfehlung als auch der in Nature publizierte Beitrag kritisch und auf prägnante Art hinterfragt. Dieser Artikel ist insbesondere deswegen interessant zu lesen, da hier ein wichtiger Abschnitt, nämlich die Bedeutung des Autorenteams, denen allen insgesamt jeweils Anteile von Firmen gehören, oder die in verschiedenen Firmen arbeiten, die Tier-unabhängige Antikörper entwickeln und verkaufen, unseres Erachtens nach in der finalen Version fehlt. Hat hier eine Zensur stattgefunden?
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33020658/
zu 2) Die Belgische Universität VIB hat ein 14-seitiges Statement, mit Beiträgen von Experten der Universität aber auch Experten aus belgischen Biotech- und Pharmaunternehmen verfasst. In diesem sehr wissenschaftlich ausgearbeiteten Beitrag werden wichtige Schlüsselpublikationen zitiert, die sowohl die Vorteile als auch die Nachteile von Antikörpern darstellen, die nicht im Tier generiert wurden. Hier werden sorgfältig die Darlegungen der EU-Empfehlung mit anderen Publikationen verglichen. Es wird das Potential von Antikörpern aus Tier-Immunisierungen sachlich richtiggestellt. Viele einseitige Darstellungen und Fehlinformationen werden dabei aufgedeckt. Es wird gefordert, dass vergleichende Studien durchgeführt werden müssen, an denen viele Wissenschaftler beteiligt sein sollten, um Antikörper aus beiden Systemen in ihrer Effizienz zu vergleichen. Dieser Artikel ist sehr lesenswert, wenn man tiefgründig in die Materie einsteigen will und ein bisschen Zeit hat.
https://vib.be/news/opinion-do-not-ban-animal-immunization-antibody-production
https://vib.be/sites/default/files/Opinion%20on%20immunisation%20of%20animals%20for%20Abs_final.pdf
https://www.embopress.org/doi/full/10.15252/embr.202051761
Zu 3) Vom Dachverband der Europäischen Gesellschaften für Immunologie EFIS wurde ein kurzes aber prägnantes Statement veröffentlicht. Momentan erarbeitet EFIS zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Immunologie eine politisch kraftvolle Gegendarstellung.
https://www.efis.org/cms/upload/bilder/home/EFIS_EFIS-Vaccine-TF_EURL-ECVAM-Statement_20201022.pdf
Zu 4) Die League of European Research Universities - LERU hat in seinem 8-seitigen Statement nicht nur systematisch erarbeitet, an welchen Stellen die EURL ECVAM, Fehlinformationen veröffentlicht hat, sondern LERU hat auch aufgezeigt, welche Vorteile insbesondere aus dem Tier gewonnene polyklonale Antikörper aufweisen. Diese können über Phage-Display in dieser Art derzeitig nicht generiert werden. LERU hat verschiedenste Beispiele, u.a. Gegengifte für Schlangen- und Skorpionbisse aufgeführt, in denen nur polyklonale Antikörper funktionieren. Solche polyklonalen Antikörperseren retten nicht nur vielen Menschen jährlich das Leben, sondern sie mildern auch Folgeschäden ab.
https://www.leru.org/files/26_10_20-LERU-Animal-Antibody-Statement.pdf
Zu 5) In einem sehr offensiven Schreiben in „Nature“ nimmt Matt Truppo von Janssen Pharmaceutical Companies of Johnson & Johnson, Spring House, Pennsylvania, USA Bezug auf die Empfehlung von EURL ECVAM und den zuerst in „Nature“ und „Nature Methods“ publizierten Schreiben von Gray et al. Stellung. Das Schreiben beginnt mit den Worten: „Wir sind nicht einverstanden mit den Behauptungen von Alison Gray und Kollegen, dass synthetische Antikörper, die aus Tieren gewonnenen Antikörper, in "allen bekannten Anwendungen" ersetzen können“ (Nature 581, 262; 2020).
https://www.nature.com/articles/d41586-020-02923-z
English version
Antibodies from animals remain indispensable in research and clinic
With this article, we want to inform the members of the German Society for Immunology (DGfI) about EU-efforts, which strongly suspect an underlying lobbying intention. The goal of these efforts are to ban and prohibit antibodies, which were generated in animals or will be generated in the future. This would directly affect research and clinical practice. The DGfI participates in the resistance of the international scientific community against these anti-scientific efforts.
On May 15, 2020, the EU Reference Laboratory for Alternatives to Animal testing (EURL ECVAM) issued a statement on animal testing suggesting that antibodies derived from animals are scientifically outdated and ethically reprehensible (https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-research-reports/eurl-ecvam-recommendation-non-animal-derived-antibodies). This statement claims, among other things, that animal-derived antibodies have massive quality problems, especially that they are unspecific. In addition, it is alleged that animal-derived antibodies are unethical from an animal welfare standpoint and should be replaced by alternatives such as antibodies from recombinant libraries. It is suggested that journals should generally reject manuscripts whose data are based on animal-derived antibodies, and grants should generally not be given to scientific projects that use animal-derived antibodies. These claims and recommendations were published as "Correspondence" in "Nature Methods" (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32719533/) and repeated in "Nature" (https://www.nature.com/articles/d41586-020-01474-7) by the same authors. It is noticeable that the same authors, that have significantly developed the EU recommendations as advisory "ad hoc members", have also confirmed their own recommendations in an "independent scientific peer review". Furthermore, it is striking that these individuals are not only scientists, but also founders, supervisory board members or employees of companies that produce and sell antibodies from recombinant libraries or e.g. DARPINs (Designed Ankyrin Repeat Proteins).
This inconsiderate industrial lobbyism, disguised as animal welfare, has chances to become the basis of an EU-Directive (EU-Richtlinie). This has raised massive protests in the European scientific community.
Of course the DGfI supports all efforts to reduce the number of animals used in animal experiments and to identify alternatives. However, the current recommendations of EURL ECVAM are scientifically completely unacceptable and, if implemented into European law, would have dramatic consequences for biomedical research in Europe.
The DGfI is in close contact with various scientific societies at a German and European level and is working intensively to publish a political statement in order to illustrate the risk of these lobbying efforts, both, on political level and the level of third-party funding institutions.
Some well-defined statements of scientific societies have already been published. Here are the corresponding links:
1) A “Nature Methods” Paper from the Confederation of Spanish Scientific Societies (COSCE) in response to Gray et al. (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33020658/)
2) A comprehensive statement from the Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB), a Belgian scientific organization (https://vib.be/news/opinion-do-not-ban-animal-immunization-antibody-production) and an opinion in “EMBO reports” (https://www.embopress.org/doi/full/10.15252/embr.202051761)
3) A statement from the European Federation of Immunological Societies (EFIS)
(https://www.efis.org/cms/upload/bilder/home/EFIS_EFIS-Vaccine-TF_EURL-ECVAM-Statement_20201022.pdf)
4) A statement from the League of European Research Universities (LERU) (https://www.leru.org/news/leru-voices-concerns-over-recommendations-to-ban-animal-derived-antibodies)
5) A statement from the pharmaceutical industry in „Nature“ (https://www.nature.com/articles/d41586-020-02923-z)
With this literature it should be possible to get an idea of why it is so important for our scientific community to take countermeasures in this regard. We would like to urge all DGfI members to use the materials provided here for their own public relations and lobby work. If you want to participate in a counterstatement or if you can support our society in any other way (e.g. through contacts to politicians or other decision makers), please contact the office of the German Society for Immunology (mail@dgfi.org).
An interesting lecture on this topic will take place on 30th of November 2020 in a zoom conference with discussion opportunity organized at the Charité Berlin. You can register for this lecture under the following link: https://charite3r.charite.de/metas/veranstaltung/veranstaltung/details/charite_3r_lecture_recombinant_antibodies_improved_tools_for_science_and_diagnostics-2/
We will keep DGfI members up to date on further developments.
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As an appetizer to read the information provided above, here a summary of the individual countermeasures:
1) In a first reaction to the recommendation of the EU Reference Laboratory ECVAM to ban animal-derived antibodies, Spanish scientists from the Confederation of Spanish Scientific Societies - COSCE together with the European Animal Research Association - EARA - published a counterstatement in the journal “Nature Methods”. In this counterstatement, both, the EU recommendation and the article published in Nature, are critically and concisely questioned. This counterstatement is particularly interesting to read, as we think that an important section, namely the role of the authors, who all together either work or are share-holders of companies that develop or sell animal-independent antibodies, might be missing in the final version. Was there any censorship?
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33020658/
2) The Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB) has written a 14-page statement, with contributions from experts from the university as well as experts from Belgian biotech and pharmaceutical companies. In this highly scientific paper, important key publications are cited that present both, the advantages and disadvantages, of non-animal-derived antibodies. The statements of the EU recommendation have been carefully compared with other publications. Misleading conclusions, one-sided representations and misinformation were identified and corrected accordingly on the basis of current scientific knowledge. It is requested that comparative studies involving many scientists should be conducted to examine the efficiency of antibodies from both systems. This article is worth reading if you want to go deeper into the subject and if you have some time.
https://vib.be/news/opinion-do-not-ban-animal-immunization-antibody-production
https://vib.be/sites/default/files/Opinion%20on%20immunisation%20of%20animals%20for%20Abs_final.pdf
3) A short but concise statement was published by EFIS, the European Federation of Immunological Societies. Currently, EFIS, together with the German Society for Immunology, is working on a politically powerful counterstatement.
https://www.efis.org/cms/upload/bilder/home/EFIS_EFIS-Vaccine-TF_EURL-ECVAM-Statement_20201022.pdf
4) In its 8-page statement, the League of European Research Universities - LERU has not only systematically worked out where EURL ECVAM has published misinformation, but LERU has also pointed out the advantages of polyclonal antibodies derived from animals in particular. Currently, polyclonal antibodies cannot be generated via phage display. LERU has listed various examples, including antisera for snake and scorpion bites, in which only polyclonal antibodies work. Such polyclonal antibody sera not only save the lives of many people every year, they also reduce consequential damage.
https://www.leru.org/files/26_10_20-LERU-Animal-Antibody-Statement.pdf
5) In a very offensive letter in "Nature", Matt Truppo of Janssen Pharmaceutical Companies of Johnson & Johnson, Spring House, Pennsylvania, USA, refers to the recommendation of EURL ECVAM and the article of Gray et al. The letter begins with the words: “We disagree with claims by Alison Gray and colleagues that synthetic antibodies can replace animal-derived antibodies for ‘all known applications’.” (Nature 581, 262; 2020).