Sie ist aus Sicht des Behandlungsteams der Charité – Universitätsmedizin Berlin äußerst bemerkenswert: Die enorme Verbesserung, die das Krebsmedikament Teclistamab bei einer Patientin mit schwerem systemischem Lupus erythematodes (SLE) erzielt hat. Durch die Autoimmunerkrankung war die 23-Jährige zuletzt auf den Rollstuhl angewiesen. Heute – fast sechs Monate nach Start der Behandlung – ist die Patientin komplett symptomfrei. Ob die Wirkung dauerhaft anhält, bleibt abzuwarten. Der Fall, den das Team jetzt im New England Journal of Medicine* veröffentlicht hat, markiert aber einen vielversprechenden Startpunkt für weitere Untersuchungen.
Bei der 23-jährigen Berlinerin hatte nichts ausreichend geholfen: Kortison nicht, und auch acht weitere Therapien nicht, die ihr überaktives Immunsystem hätten dämpfen sollen. Ihre Autoimmunerkrankung, ein sogenannter systemischer Lupus erythematodes, verlief besonders schwer und griff vier ihrer Organsysteme an. Ihre Haut warf Blasen, ihre Gelenke und Nieren waren stark entzündet und die Zahl ihrer roten Blutkörperchen, die das Gewebe mit Sauerstoff versorgen, war zu niedrig. „Aufgrund ihrer dauerhaften Schmerzen konnte die Patientin nicht mehr laufen, sie war auf einen Rollstuhl angewiesen und ihre Nieren drohten zu versagen“, sagt PD Dr. Tobias Alexander, ihr behandelnder Arzt an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité. Der Leiter der rheumatologischen Fachambulanz betont: „Ich habe noch nie einen so schweren Fall gesehen.“
Weil die etablierten Behandlungspfade ausgeschöpft waren, schlug er der Patientin vor, erstmals Teclistamab einzusetzen. Teclistamab ist ein sogenannter bispezifischer Antikörper, der für die Behandlung des Multiplen Myeloms, eine Krebserkrankung der Plasmazellen im Knochenmark, zugelassen ist. Beim systemischen Lupus erythematodes produzieren Plasmazellen Autoantikörper, also Antikörper, die sich gegen das eigene Gewebe richten. „Teclistamab zerstört die Plasmazellen sehr effektiv und wirkt auch gegen deren Vorläufer, die sonst rasch neue Plasmazellen produzieren würden“, erklärt der Rheumatologe. „Wir haben deshalb angenommen, dass das Krebsmedikament die Ursache des systemischen Lupus beseitigen und der Patientin langfristig helfen könnte.“
Erkrankung nach fünf Injektionen nicht mehr nachweisbar
Mit dem Einverständnis der Patientin wurde das Arzneimittel zulassungsüberschreitend („off-label“) angewendet. Die Therapie erfolgte stationär an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am Charité Campus Benjamin Franklin – und zeigte Erfolg: Fünf Injektionen des Krebsmedikaments unter die Bauchhaut, verteilt über einen Zeitraum von fünf Wochen, ließen die Symptome der Patientin schrittweise zurückgehen. Innerhalb weniger Wochen besserten sich ihre Nieren- und Blutwerte, die Entzündung der Haut und Gelenke ebbte vollständig ab. Seit Mitte April sind im Blut der 23-Jährigen keine Autoantikörper mehr nachweisbar, obwohl die Behandlung mit Immunsuppressiva vor Therapiebeginn beendet und die Gabe von Kortison nach sechs Wochen eingestellt wurde.
„Die Patientin ist in kompletter Remission“, sagt Tobias Alexander. „Das heißt, sie spürt keinerlei Anzeichen ihrer Krankheit mehr und wir können klinisch und im Labor keine Hinweise auf einen systemischen Lupus mehr finden. Es wäre noch zu früh, von einer Heilung zu sprechen, aber eine so durchschlagende Wirkung ist in der Rheumatologie eine absolute Ausnahme und auch deshalb bemerkenswert, weil sämtliche verfügbaren Therapieansätze im Vorfeld nicht ausreichend angeschlagen hatten. Der Erfolg der Therapie bedeutet natürlich vor allem für die Patientin einen unvergleichlichen Gewinn an Lebensqualität, über den wir uns sehr freuen. Wie lange die Wirkung anhält, wissen wir aber noch nicht. Aufgrund der Vorläufigkeit der Ergebnisse ist die Therapie noch nicht für die breitere Anwendung geeignet.“
Risiken der Behandlung
Zudem birgt der starke Eingriff in das Immunsystem durch das Präparat teils erhebliche Risiken. Beispielsweise können Immunzellen übermäßige Mengen an Entzündungsbotenstoffen produzieren. Je nach Verlauf kann ein solches Zytokin-Freisetzungssyndrom lebensbedrohlich werden. Auch die jetzt an der Charité behandelte Patientin entwickelte während der Teclistamab-Therapie ein schweres Zytokin-Freisetzungssyndrom, sie zog sich eine Lungen- und Nasennebenhöhlenentzündung zu und die Menge ihrer schützenden Antikörper im Blut fiel ab. „Diese Nebenwirkungen sind deutlich schwerwiegender als bei herkömmlichen rheumatologischen Therapien und mussten zum Teil stationär behandelt werden“, sagt Prof. Jan Krönke, der die Patientin seitens der Krebsmedizin betreut hat. „Sie entsprechen aber den Reaktionen, die Teclistamab bei Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom hervorruft und waren insofern nicht unerwartet.“
Um herauszufinden, wie langanhaltend die Wirkung von Teclistamab ist, betreut das Behandlungsteam die Patientin auch weiterhin engmaschig und beobachtet die Aktivität ihres Immunsystems. Sollten sich die positiven Effekte als langfristig herausstellen und in weiteren Studien bestätigt werden, hält Tobias Alexander den potenziellen Nutzen des Krebsmedikaments in der Rheumatologie für groß: „Die therapeutischen Ergebnisse von Teclistamab bei der Patientin sind zumindest zum jetzigen Zeitpunkt vergleichbar mit der Wirkung von CAR-T-Zelltherapien. Der bispezifische Antikörper ist aber deutlich einfacher und kurzfristiger anwendbar, das wäre ein enormer Vorteil.“ CAR-T-Zelltherapien sind neuartige Therapieansätze, die Autoimmunerkrankungen in Einzelfällen über Jahre zurückdrängen konnten. Sie machen allerdings eine Chemotherapie und Gentherapie notwendig und sind sehr zeit- und ressourcenaufwändig.
Über die Studie
Die Patientin wird rheumatologisch von PD Dr. Tobias Alexander (Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie) betreut, die Behandlung mit Teclistamab hat Prof. Jan Krönke (Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, Campus Benjamin Franklin) durchgeführt. In die Erarbeitung des Behandlungskonzepts maßgeblich eingebunden waren zusätzlich die Direktoren der beiden Kliniken, Prof. Gerhard Krönke (Rheumatologie) und Prof. Ulrich Keller (Onkologie). Beginn der Therapie war im März, publiziert wurden nun die Daten über einen Beobachtungszeitraum von insgesamt 16 Wochen. Die Fallstudie wurde gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Europäische Union.
Über den systemischen Lupus erythematodes
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine bisher nicht heilbare Autoimmunerkrankung. Schätzungen zufolge sind in Deutschland 30.000 Menschen betroffen, etwa 90 Prozent davon sind Frauen. Betroffene erkranken am häufigsten im Alter von 20 bis 40 Jahren. Abhängig davon, welche Organe das Immunsystem angreift, entwickeln sich unterschiedliche Symptome, die sich in der Regel medikamentös unter Kontrolle halten lassen. Nicht alle SLE-Patient:innen sprechen auf die Behandlung jedoch ausreichend an.
Wissenschaftliche Ansprechpartner
Markus Heggen
Pressesprecher
Charité – Universitätsmedizin Berlin
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Originalpublikation
https://www.doi.org/10.1056/NEJMc2407150
Weitere Informationen
https://rheumatologie.charite.de/ Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie
https://haema-cbf.charite.de/ Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie (CBF)
Quelle: Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin 09/2024