HZI-Forscher entdecken, wie eine frühe Besiedelung mit Mikroben die Eigenschaften von Lymphknoten im Darm lebenslang definiert
Der Darm kann mehr als nur Nahrung verdauen und resorbieren. Seit geraumer Zeit weiß man, dass er und seine Bakterien auch für das Immunsystem von großer Bedeutung sind. Das sogenannte darmassoziierte Immunsystem sorgt dafür, dass wir gesund bleiben und unsere Abwehr gut arbeitet. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und des Würzburger HZI-Standortes Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) haben jetzt nachgewiesen, wie die erste mikrobielle Besiedlung des Darmes gleich nach der Geburt die besonderen Eigenschaften der darmassoziierten Lymphknoten bestimmt. Die im Darm sitzenden Gerüstzellen dieser Lymphknoten werden in den ersten Tagen nach der Entbindung durch die Mikroben des Darmes lebenslang geprägt und geben diese Informationen kontinuierlich an wandernde Immunzellen weiter. Mit der Single-Cell-Methode konnte nun auf Transkriptom-Ebene nachgewiesen werden, dass die im Darm lebende Mikrobengemeinschaft die Gerüstzellen des Lymphknotens für diese wichtige Aufgabe lebenslang prägt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im Fachjournal Nature Communications.
Die regulatorischen T-Zellen (kurz „Tregs“) haben eine sehr wichtige Aufgabe in unserem Immunsystem: Sie bringen anderen Immunzellen bei, welche Eindringlinge wirklich zu bekämpfen sind und von welchen keine Gefahr ausgeht. Die Tregs vermitteln den Immunzellen dabei eine tolerante Haltung gegen Fremdkörper wie Bestandteile bestimmter Nahrungsmittel, Pollen, Tierhaare, aber auch ungefährliche Mikroorganismen. So wird das Immunsystem trainiert und attackiert keine harmlosen Passanten. Sonst würden Allergien und Autoimmunkrankheiten ungehindert zunehmen. „Bisher war bekannt, dass die Tregs besonders effizient in den darmassoziierten Lymphknoten ausgebildet werden. Darin zeigt sich die wichtige, fein ausbalancierte Abwehrfunktion des Immunsystems im Darm, welches einen großen Teil des kompletten Immunsystems unsers Körpers ausmacht“, sagt Prof. Jochen Hühn, Leiter der Abteilung „Experimentelle Immunologie“ am HZI. Nur wie die regulatorischen Zellen überhaupt mit ihren tolerogenen Eigenschaften in den darmassoziierten Lymphknoten ausgestattet werden, war bisher noch nicht detailliert erforscht.
Wissenschaftler des HZI konnten jetzt gemeinsam mit Kollegen vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) im Mausmodell zeigen, dass die darmassoziierten Lymphknoten ihre dafür charakteristischen Eigenschaften schon kurz nach der Geburt erhalten. „Wir werden fast steril geboren. Erst dann beginnt in den ersten Tagen nach der Geburt die sehr schnelle Besiedelung mit den ersten Mikroben. Durch diese frühkindliche Prägung wissen die darmassoziierten Lymphknoten sozusagen, welches ihr Normalzustand ist, in den sie nach einer Infektion wieder zurückkehren können“, sagt Dr. Jörn Pezoldt, Wissenschaftler im Team von Jochen Hühn und Erstautor der Studie.
Eine besondere Rolle bei der Prägung der Lymphknoten im Darm spielen deren Gerüstzellen. Bisher wurde dieser Zelltyp in seiner Bedeutung ignoriert, aber immer mehr Studien zeigen, dass diese Zellen für die Modulation von hochspezialisierten Immunantworten sehr bedeutsam sind. „Die Gerüstzellen werden direkt nach der Geburt von der Besiedlung der ersten Mikroben im Darm beeinflusst und behalten ihr Gedächtnis ihr ganzes Leben lang. Fest fixiert im Gewebe der Lymphknoten sind diese Zellen selbst unbeweglich, können aber ihre frühkindliche Prägung als Information an andere Zellen des Immunsystems weitergeben, die über die Blut- oder Lymphbahn in die Lymphknoten einwandern“, sagt Dr. Maria Szente-Pasztoi, ebenfalls Erstautorin der Studie. „Dies ist eine sehr clevere Strategie: Die Mikrobengemeinschaft im Darm rüstet sozusagen die Gerüstzellen als Schaltzentralen aus, die wichtige Informationen zur Abwehr an andere Immunzellen weiterverteilen.“
Diese wichtigen Erkenntnisse konnten die Forscher in Kooperation mit Dr. Antoine-Emmanuel Saliba, Wissenschaftler am HIRI in Würzburg, gewinnen. Der Einsatz der Single-Cell-Technologie erlaubt es, aktive Gene in einer einzelnen Zelle zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Basis von RNA-Molekülen zu untersuchen. „Die Analyse der Gerüstzellen der Darmlymphknoten auf Einzel-Zellebene zeigte, dass diese Zellpopulationen sehr heterogen sind und nur einzelne Subpopulationen durch den ersten Kontakt mit den Mikroorganismen in ihren Eigenschaften beeinflusst werden. So konnte der Nachweis erbracht werden, dass die transkriptionelle Signatur durch die umgebende Mikrobenflora definiert wird“, sagt Saliba.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler bestätigen eindeutig, dass ein Kontakt zu einer normalen mikrobiellen Besiedelung in der frühkindlichen Phase sehr wichtig für die Entwicklung eines gesunden Immunsystems ist. Zukünftige Forschungsarbeiten könnten nun zeigen, wie sich die lebenslangen Eigenschaften von Lymphknoten durch verschiedene frühkindliche Einflüsse wie ein keimarmes Umfeld durch Antibiotika, schwere Infektionskrankheiten oder ein zu steriles Aufwachsen verändern können.
Originalpublikation: Jörn Pezoldt, Maria Pasztoi, Mangge Zou, Carolin Wiechers, Michael Beckstette, Guilhem R. Thierry, Ehsan Vafadarnejad, Stefan Floess, Panagiota Arampatzi, Manuela Buettner, Janina Schweer, Diana Fleissner, Marius Vital, Dietmar H. Pieper, Marijana Basic, Petra Dersch, Till Strowig, Mathias Hornef, André Bleich, Ulrike Bode, Oliver Pabst, Marc Bajénoff, Antoine-Emmanuel Saliba, Jochen Hühn: Neonatally imprinted stromal cell subsets induce tolerogenic dendritic cells in mesenteric lymph nodes. Nature Communications 2018, DOI: 10.1038/s41467-018-06423-7
Quelle: Pressemitteilung Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung 10/2018