Nachruf auf Prof. Joachim Robert Kalden (geb. 1937 - 2021)
Immer offen, freundlich, positiv und interessiert, immer neue Ideen und Projekte im Kopf, so werden wir alle Jochen Kalden in Erinnerung behalten. Noch heute erinnere ich mich gern an unsere erste Begegnung auf dem Jahreskongress für Immunologie 1974 in Hannover, auf dem Jochen Kalden auch seine Ergebnisse zur Myasthenieforschung vorstellte. Als Hauptorganisator dieser Veranstaltung wirbelte er nur so herum. Und dennoch war Zeit für kritische Diskussionen über neue Antikörper, die damals noch mit der Immunfluoressenz nachgewiesen wurden.
Jochen Kalden wurde in Marburg geboren, studierte später Medizin in Freiburg, Marburg und Tübingen. Nach seiner Promotion 1966 ging er als Postdoktorand für 4 Jahre an das Department of Therapeutics und Medical Research Council der Universität Edinburgh, unterbrochen durch Aufenthalte am National Institutes of Health in Bethesda, Maryland, USA. Für seine klinische Ausbildung als wissenschaftlicher Assistent in Innerer Medizin und Klinischer Immunologie wählte er die junge Medizinische Hochschule Hannover. Seine Lehrer waren hier Prof. Helmuth Deicher und Fritz Hartmann. Nach der Habilitation 1974 war er bis 1977 Oberarzt der Abteilung für Klinische Immunologie und in der interdisziplinären Struktur der MHH auch Oberarzt der Abteilung für Rheumatologie.1977 wurde er zum Direktor des damaligen Instituts und der Poliklinik für Klinische Immunologie der Universität Erlangen-Nürnberg berufen. Dieses hat er zur erfolgreichen und weltbekannten Medizinischen Klinik III für Rheumatologie und Klinische Immunologie entwickelt. Er etablierte in Erlangen 1987 zwei Max-Planck Forscher-Gruppen und war spiritus rector des 1991 gegründeten Sonderforschungsbereich 263 mit dem Thema „ Immunologische Mechanismen bei Infektion, Entzündung und Autoimmunität“ wie auch des gleichnamigen Graduierten-Kolleg, er war 1994 Initiator des Interdiziplinären Zentrum für klinische Forschung und etablierte 1997 eine Abteilung für Molekulare Immunologie. Nach fast 30 jähriger unermüdlicher Tätigkeit wurde Jochen Kalden im Jahr 2006 emeritiert. Inzwischen hat sich sein klinisch-immunologisches Arbeitsgebiet zu einem bedeutsamen wissenschaftlichen Schwerpunkt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg entwickelt.
Durch sein breites, auch interdisziplinäres Interesse an der Immunologie und den rheumatischen Erkrankungen verband er diese Wissenschaft mit der Medizin und öffnete auch die Medizin für die Immunologie. Ausgehend von dem Studium der Autoimmunreaktionen entwickelte er das Konzept, dass das Immunsystem den Verlauf von entzündlichen Erkrankungen, Infektionen und auch Tumoren stark beeinflusst.
Sein Interesse galt nicht nur den neuesten Entwicklungen in der Immunologie, sondern auch, den Wirkungen des Immunsystems auf Erkrankungen. Ihn interessierte die Pathogenese, aber auch die Frage, wie mit diesen Kenntnissen die Erkrankungen zu heilen sind. Mit seiner Begeisterung, insbesondere auch für die Klinische Immunologie, pflegte und förderte er die Verbindung von Medizin und Forschung und war ein begeisterndes Vorbild für zahlreiche junge Kollegen. Seine klinische und grundlagenwissenschaftliche Forschung, zuletzt der Apoptose, prägten die Immunologie. Er war einer der ersten, der monoklonale Antikörper zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis einsetzte und später auch die sogenannten Zytokin-Hemmer oder Biologika für die Therapie von chronisch-entzündlichen Erkrankungen einführte.
Ganz besonders hervorzuheben ist auch die von ihm mit großem Einsatz betriebene Gründung des Deutschen Rheumaforschungszentrums (DRFZ) in Berlin (1989). Als Mitglied und Präsident des Stiftungsrates hat er seinen Aufbau entscheidend mitgestaltet und es zu einer deutschen Modelleinrichtung für die Zusammenarbeit von Klinik und ausseruniversitärer Forschungseinrichtung gemacht. Heute ist es als Leibniz-Institut eine der weltführenden Forschungseinrichtungen in der Rheumatologie und Entzündungsforschung.
Als dritter Präsident unserer Fachgesellschaft von 1983 - 1990 hat er die Geschicke der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, sowohl in den Anfangsjahren, aber auch später noch nachhaltig geprägt. Immer hatte er ein offenes Ohr für junge und interessierte Nachwuchswissenschaftler, die er nicht nur mit seinen Vorträgen, sondern auch in zahlreichen abendlichen Diskussionen für unsere Wissenschaft und ihre Umsetzung zum Wohl unserer Patienten begeisterte. Dabei war er immer unprätentiös und ein großzügiger Gastgeber, sei es bei einem guten Glas Rotwein oder einem ordentlichen Bier nach einem Seminar an seiner Klinik. Generationen von Immunologen haben diese Erfahrung in Erlangen machen dürfen. Aber nicht nur wir jungen Nachwuchswissenschaftler schätzten seinen Rat, sondern ebenso zahlreiche Universitäten, nationale und internationale Forschungsorganisationen, das Bundesministerium für Forschung und Technologie mit seiner Mitgliedschaft im Bundesforschungsrat, Senat von Berlin, das Wissenschaftsministerium des Freistaates Sachsen und nicht zuletzt die internationale Biopharmazeutische Industrie. Aber er war auch gefragt als Ratgeber für die wissenschaftlich-klinische Nachwuchsförderung, z. B. bis zuletzt im International Advisory Board der Hannover Biomedical Research School. Dadurch hat er die immunologische und rheumatologische Forschung, aber auch die Innere Medizin national und international nachhaltig beeinflusst.
Seine großartigen wissenschaftlichen Leistungen wurden durch Ehrendoktorwürden von der Charité Berlin, der Medizinischen Fakultät Lund und der Medizinischen Hochschule Hannover gewürdigt. Er wurde aber auch bereits 1976 mit dem Georg-Zimmermann-Preis der Medizinischen Hochschule Hannover und 2005 mit dem Internationalen Preis des Japan College for Rheumatology ausgezeichnet. Seit 1999 war er ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und seit 2002 Mitglied und Senator der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. 1993 und 1994 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie sowie von 2001 - 2003 Präsident der European League against Rheumatism (EULAR). 1996 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande und 1999 den Bayerischen Verdienstorden. Er organisierte zahlreiche nationale und internationale Kongresse, wie z. B. 1989, kurz vor dem Fall der Mauer, den sehr bedeutenden 7. Internationalen Kongress für Immunologie in Berlin. Unvergessen sind aber auch die internationalen "Advanced Targeted Therapies" - Tagungen, in denen die Grundlagen und Standards für die moderne Biologika-Therapie bei immunologischen Erkrankungen weiterentwickelt wurden.
Jochen Kalden war nicht nur ein hervorragender Wissenschaftler, erfahrener Kliniker und begeisternder Lehrer, sondern ein hervorragender Kenner und Liebhaber moderner Kunst. Trotz intensiver wissenschaftlicher Diskussionen fanden wir doch immer noch Zeit für einen kurzen Abstecher in eine gerade laufende großartige Ausstellung am Kongressstandort.
Seine Freundschaft, seine Zuneigung und seine Liebe zu uns, zur Wissenschaft und zur Kunst wird in unserer Erinnerung bleiben. All zu früh hat ihn eine Erkrankung von uns genommen. Jochen Kalden wird uns fehlen, aber unvergessen als großer Gestalter der deutschen und internationalen Immunologie und Rheumatologie in unserem Herzen bleiben. Reinhold E. Schmidt